Sonntag, 17. August 2014

Weggabelung der Entscheidung.

Die Weggabelung der Entscheidung tut sich vor dir auf. Du verlangsamst deine Schritte, um mehr Zeit zum Denken zu haben. Zum Überlegen, welche Richtung wohl die beste ist. Zum Grübeln über diese und jene mögliche Konsequenz. Du versinkst in den Gedanken des Für und Wider, im ewigen Hin und Her. Am Ende stehst du fast. So langsam bist du geworden. Wie in Zeitlupe. Aber der Lauf des Lebens gibt dir vor, dass du nicht stehenbleiben kannst. Es geht nicht. Kein Zurück und kein Stopp. Die Kreuzung wird kommen, auch wenn du noch so langsam schleichst. Es sei denn, du springst ab. Dann ist Stopp. Aber endgültig. Kein Zurück. Das ewige Ende im endlosen Nichts. Kurz denkst du tatsächlich darüber nach. In diesen Momenten, in denen die Last der Entscheidung dich niederzudrücken scheint. Wenn alles zu viel wird, weil du verdammt nochmal einfach nicht weißt, welcher scheiß Weg der richtige ist und welcher der falsche, welcher vielleicht eine Sackgasse ist oder bei welchem sich unüberwindbare Hindernisse hinter der nächsten Kurve verbergen. Woher sollst du es auch wissen, woher? Aber nein, das ist keine wirkliche Option, ein Gedankenspiel, nichts weiter. Nicht wahr? Und in dir beginnt es zu rasen, deine Gedanken entziehen sich jeder Logik, du kannst jetzt nicht so etwas Wichtiges entscheiden, nicht jetzt! Aber du musst, du musst jetzt, denn da ist die Gabelung, du hast sie erreicht, und du biegst ab, du musst. Nach links. Vielleicht. Oder nach rechts. Wer weiß schon, wie du entscheidest.
Und kaum abgebogen drehst du auch schon den Kopf. Du schaust zurück und überdenkst diesen entscheidenden Schritt in die Richtung wieder und wieder und wieder und immer wieder laufen dir die Bilder durch den Geist. Die Kreuzung liegt schon weit hinter dir und trotzdem lässt sie dich nicht los. Deine Gedanken kreisen weiter nur um diesen Moment. So sehr, dass du den Weg nach vorne vergisst. Du fragst dich, wo du jetzt wohl stehen würdest, hättest du den anderen Pfad gewählt. Besser. Vielleicht. Oder doch schlechter. Wer weiß schon, was gewesen wäre.
Und dann brüllst du in den dunklen Wald hinein: Ich habe mich doch entschieden, verdammt! Kann mir dann nicht wenigstens einer sagen, ob es richtig war? Was für ein Scheiß! Eine Frage ohne Antwort! Ein Problem ohne Aufklärung!
Wie ein Buch, in dem das letzte Kapitel ungeschrieben bleibt. Eine unvollendete Geschichte. Es wird dich immer verfolgen, immer.

Es sei denn, du schreibst es selbst.

Mittwoch, 6. August 2014

Was früher mein Zuhause war.

Der Zug bremst quietschend ab, bis er im Bahnhof zum Stehen kommt. Die Türen öffnen sich und ich atme die regnerische Luft ein. Kurz muss ich mich orientieren, folge dann den wenigen Leuten, die mit mir ausgestiegen sind und verlasse den Bahnsteig. Ich biege an der Straße links ab, durch den Tunnel und dann den Fußweg entlang. Ich versinke in meinen Gedanken, aber meine Füße kennen den Weg und tragen mich über Kreuzungen, Zebrastreifen und Bürgersteige bis zu der Straßenecke, an der ich abbiegen muss. Ich verlangsame mein Tempo und tauche aus meiner Gedankenwelt auf. Die letzten Schritte lege ich langsamer zurück und ich blicke mich dabei um. Ich schaue nach links und nach rechts, betrachte die Bäume und die Straßenlaternen, die Hecken und die Gartentore der Nachbarn.
Und dann sehe ich das Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Es ist mit Efeu überwachsen, so wie auch früher schon. Ein Auto steht vor der Tür, wie auch damals oft. Der Briefkasten hängt links von der Tür, der gepflasterte Weg ist gefegt und leer. Ich kenne es hier und trotzdem fühle ich mich fremd. Obwohl ich noch einen Schlüssel in der Tasche habe, klingele ich. Ich käme mir wie ein Einbrecher vor, würde ich ungefragt das Haus betreten.
Als die Tür geöffnet wird, trete ich ein. Ich sehe mich um. Irgendwie sieht alles so aus, wie ich es kenne. Die Wände sind in derselben Farbe gestrichen. Der Tisch und die Stühle sind noch die alten. Und trotzdem wirkt alles so fremd. Hier hängt ein neues Bild. Der Toaster ist neu und auch der Wasserkocher. Es liegen Dinge herum, die ich noch nie gesehen habe. Ich weiß nicht, wie ich mich fühlen soll, während mein Blick durch das Zimmer schweift. Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Frage ich nach etwas zu trinken oder hole ich es mir selber. Gehe ich aufs Gästeklo oder benutze ich die Toilette im oberen Stockwerk.
Als ich mein Handy aus der Hosentasche ziehe, um mich abzulenken und festzuhalten, wundere ich mich. Ich habe WLAN. Das Smartphone hat sich automatisch mit dem privaten Netzwerk verbunden, denn die Daten waren wohl noch eingespeichert. Ein Home-Netzwerk. Vielleicht ist das das einzige, was noch geblieben ist. Was früher mein Zuhause war, ist heute nur noch WLAN-Netz.

Freitag, 25. Juli 2014

Troika der Nacht.

Zu wem der Nachrichtensprecher wohl nachts noch spricht, wenn er eine Gute Nacht wünscht? Wie viele ihm da noch lauschen? Wie viele schlaflose Ohren sich lieber die Sorgen der Welt anhören und dem ganz großen Terror folgen, als sich in eigenen Albträumen zu wälzen. Wie viele schauen sich die quälenden Bilder des Krieges an, wie viele betrachten weinende Gesichter und still brennende Gedenkkerzen, anzugtragende Politiker, die sich gegenseitig schuldig sprechen. Wie schlimm muss der Film im eigenen Kopf sein, um ihn gegen solche Meldungen einzutauschen?

Wie ein Positionslicht in der dunklen Nacht leuchtet in strahlendem Gelb das Fenster auf der anderen Straßenseite. Was hinter diesem Viereck aus Licht wohl gerade so geschieht? Wer da wohl wohnt und warum er wohl die Nacht zum Tage macht?
Vielleicht lassen die Gedanken in seinem Kopf ihn nicht schlafen. Vielleicht kommt er gerade von der Arbeit oder muss so früh schon zur Schicht. Vielleicht genießt er die Einsamkeit und die Ruhe der Nacht. Vielleicht schläft er auch mit Licht, damit seine Dämonen von ihm fernbleiben. Oder er telefoniert mit einem Freund vom anderen Ende der Welt. Ob er auch auf mein erleuchtetes Zimmer schaut und einen Verbündeten erkennt? Ob er derjenige ist, an den der Nachrichtensprecher seine Worte und Bilder richtet?
Vielleicht spricht der sogar nur zu uns beiden. Vielleicht sind wir zwei die einzigen, die in der dunklen Nacht in diesem Moment diesen Sender schauen. Wir sitzen zu zweit im Publikum. Wir blicken beide nach vorne. Die Ränge der Zuschauer liegen im Dunkeln, deshalb betrachten wir einander nicht. Wir wissen nicht einmal über den anderen Bescheid. Wir wissen überhaupt nicht, dass all die Stühle unbesetzt sind. Wir wissen nicht, dass wir in diesem Moment für uns alleine sind. Wir drei. Der Nachrichtensprecher. Mein unbekannter Nachbar. Und ich. Wir kennen uns nicht. Und sind doch ein Team in dieser Welt, ein Terzett der Nacht, eine Troika in der Dunkelheit.

Mittwoch, 23. Juli 2014

Sommerzeit, Regenzeit.

Die Sonne strahlt vom Himmel, der blau und blau und nur blau ist. Kein graues Wölkchen ist zu sehen, kein Tupfer weißer Farbe auf hellblauer Pappe. Es ist heiß. Menschen schwitzen und sonnen sich, baden und lachen und freuen sich. Alle laufen in kurzen Hosen umher, tragen Kleider, Shorts und weite Tunikas. So ein glücklicher Sommertag.
Das Wasser kräuselt sich sanft im lauen Wind, es glitzert und funkelt in so magischen Farben. Und davor das strahlende Grün der Bäume und des Rasens als Kontrast. Doch der Grünton des Grases schimmert nur vereinzelt durch das Meer aus Tüchern, Decken und liegenden Körpern. Es ist, als hätte sich die ganze Stadt auf der Wiese ausgebreitet. Alle entspannen sie gemeinsam im großen Garten inmitten der asphaltierten grauen Metropole. Viele unterhalten sich, leise und für sich. Einige spielen mit ihren Kindern und Freunden, lachen und genießen. Viele sind in Pärchen und Grüppchen angereist, einige liegen auch alleine auf ihrem Fleckchen. Sie spielen am Handy. Schlafen. Beobachten. Oder lesen.
Ich lese auch.

"Wenige Minuten nach ein Uhr morgens fiel unerwartet starker Regen. Kein Donner ging der Sintflut voraus und kein Wind. So jäh und so heftig war der Guss, dass er sich ins Bewusstsein drängte wie das unheilvolle Unwetter in einem Traum. [...]
Die unzähligen Stimmen des Wolkenbruchs klangen wie eine wütende Menschenmenge, die in einer vergessenen Sprache Parolen brüllt. Die Wassermassen hämmerten an die Zedernverschalung und die Dachschindeln, als wollten sie sich Eingang verschaffen."

[aus Dean Koontz - Todesregen]

Montag, 21. Juli 2014

Schwankend.

Es ist nur ein Wimpernschlag zwischen Freude und Trauer. Nur ein einziges Tick des Sekundenzeigers zwischen alles wird gut und ich kann nicht mehr. Es ist nur ein Augenblick vom Aufspringen zum Fall. Nur ein klitzekleiner Spalt zwischen lebendig und taub.
Von froh zu traurig zu wütend zu stolz zu schwach zu stark zu ängstlich zu hoffnungsvoll zu einsam zu glücklich zu leer zu froh zu tot. Zickzackkurs. Karussellfahrt ohne Ende ohne Runde ohne Start.
Meine Welt schwankt von Nord zu Süd ohne Kompass und ohne Plan. Mein Leben schwankt vor und zurück und ich mittendrin. Ich schwanke und wanke hin und her. Alles wankt. Meine Stimmung schwankt.

Montag, 14. Juli 2014

Mein Leben in WMs.

2002: 
Die erste Weltmeisterschaft, an die ich Erinnerungen habe. Ein Spielplatz, ein Radio, das Finale: Kinder, die kaum Interesse am Spiel zeigen, Eltern, die mitfiebern, hoffen, bangen, ein Gegentor, am Ende wird das Radio ganz schnell ausgestellt.

2006: 
Ein Bolzplatz, Freunde, ein Ball. Wie wir selber den Idolen nacheifern, während wir uns ordentlich im Dreck wälzen, Flanken schlagen, Tore schießen, und dann ganz plötzlich Aufbruchsstimmung und ein gemeinsames Nach-Hause-Rennen, um es noch rechtzeitig zum Spiel vor den Fernseher zu schaffen. Beim Aus im Halbfinale fließen die Tränen.

2010:
Ein Spielplan, den ich vorsichtig von meiner Wand abtrenne, ist die einzige Erinnerung, die ich an diese WM noch habe, die ersten Ergebnisse sind schon eingetragen, dann ganz plötzlich der Umzug, im neuen Zimmer hängt zunächst nur dieses eine Poster, doch am Ende bleiben viele Felder unausgefüllt. Auf einmal gibt es Wichtigeres als Fußball.

2014:
Welche Momente mögen wohl von diesem Turnier im Gedächtnis bleiben? Public Viewing im strömenden Regen? Autokorsos? Bier?
Was wohl in vier Jahren die Szenen sein werden, die ich als Schnipsel der Erinnerung an diese Zeit abspeichern werde? 

Samstag, 17. Mai 2014

Auf der Suche nach dem Wort.

Ich blättere durch den Duden und durch Lexika, auf der Suche nach den Worten. Und ich finde sie alle. Ich finde die Gefühle und Empfindungen, alphabetisch sortiert von A wie Angst bis Z wie Zufriedenheit. Ich finde Sätze und Satzstrukturen. Aber ich kann nichts damit anfangen, ich kann nicht zusammensetzen, was zusammengehört. Ich kann keine Worte finden für das, was in mir ist. Ich begebe mich zu allen Orten und warte dort, wo ich früher inspiriert wurde. Wo mir früher die Worte zugeflogen sind. Wo sie in mich eingedrungen sind und jedes schwarze Loch mit Buchstaben aufgefüllt haben.

Ich stehe im Regen. Und finde keine Worte dafür. Außer die, dass ich im Regen stehe. Ich fühle auch irgendwas, irgendwie ist es nass und irgendwie kleben meine Klamotten an meiner Haut, irgendwie füllen sich meine Chucks mit Wasser und irgendwie wird mir auch ein kleines bisschen kalt. Aber was sonst so in mir abgeht, was das in mir auslöst, das weiß ich nicht. Ich kann's nicht in Worte fassen. Da ist was in mir. Oder auch nicht.

Ich liege im Bett und warte auf den Schlaf. Und irgendwie kommt er nicht und irgendwie liege ich immer weiter nur so rum und irgendwie gucke ich immer wieder auf die Uhr und merke immer wieder, wie der Morgen näherkommt. Und ich weiß nicht, warum der Schlaf nicht kommen will. Wo er sich wohl gerade rumtreibt; zumindest nicht in meinem Zimmer. Aber was stattdessen in meinem Kopf abgeht, das weiß ich nicht. Das kann ich mit Worten nicht fassen. Vielleicht ist da auch nichts. Schwarz wie das Zimmer um mich herum.

Ich stehe am Flughafen und beobachte Abschiedsschmerz und Wiedersehensfreude. Ich schaue mir Menschen mit Blumen an und mit Plakaten und mit Tränen in den Augen und mit riesigen Taschen. Ich stehe abseits, ich warte auf niemanden, ich werde von niemandem erwartet. Ich bin nur stummer Zeuge der Bewegung um mich herum. Überall werden Gefühle zur Schau gestellt, aber in mir ist ein leerer Fleck auf der Gefühls-Landkarte. In mir bleibt alles stumm.

Ich sitze vor einem leeren Blatt Papier. Ich schreibe ein Wort. Ich streiche ein Wort. Ich schreibe zwei Wörter. Ich streiche zwei.
Alles klingt falsch. Alles ist schon da gewesen. In der großen weiten Welt der Worte. Ich kann nur noch kopieren und zitieren.


"Wo bleiben die guten Tage?
Ich will mich nicht beklagen.

Mein Leben ist fast, fast immer leicht
Es ist fast schon unbeschreiblich
Es läuft fast, wie es laufen soll."

[Emma6]