Donnerstag, 30. Mai 2013

Sinnlose Zahlen und betrunkene Ziffern.

Die Zahlen verschwimmen vor meinen Augen.
Die, die auf meinem Arbeitsblatt stehen, die ich in einen Collegeblock übertrage, die ich addiere, multipliziere, exponiere, jongliere. Die einfach nicht so wollen, wie ich es will. Sie sind aufgereiht - Kästchen für Kästchen, Spalte für Spalte - und gucken mich an. Sie glänzen in kugelschreiberblau oder in druckertintenschwarz. Sie stehen da, einfach so. Sinnlos.
Und die Zahlen auf der Uhr verschwimmen auch. Es wird später und später. Aber ich merke es nicht, realisiere es nicht; die Information dringt nicht zu mir durch - die Ziffern bleiben belanglose Aufreihungen.

Ratsch! Bäm!
Der Lärm zerreißt die Stille. Ich zerreiße das Arbeitsblatt. Ich werfe die Überreste durch mein Zimmer, zerdrücke Schnipsel zu Mathe-Bällen und schleudere sie durch die Gegend.
Die Wut entweicht. Die angestauten Aggressionen gelangen an die Oberfläche, sie übernehmen das Kommando, übernehmen mein Gehirn.
Ich kann nicht mehr klar denken. Doch die Zahlen starren weiter. Sie fordern mich auf, mit ihnen zu rechnen. Und die Uhr tickt weiter. Jede Minute springt die Anzeige um; eine neue Zahl, mit der ich nichts anfangen kann.

Gluck! Gluck!
Bacardi, Wodka, Red Bull. Alles ist egal. Die Uhr tickt weiter, der zerrissene Zettel will weiter gelöst werden.
Ich trinke. Weiß nur noch nicht, warum. Vielleicht, um mich wachzuhalten und meine Mathe-Hausaufgaben zusammenzukleben und auszurechnen. Vielleicht, um einschlafen zu können, ohne Kissen zu zerreißen und vom Zahlenchaos zu träumen.
Ist mir auch egal. Hauptsache, es wirkt.

Samstag, 25. Mai 2013

Wir sind die Besten.

Das ganze Leben ist ein Wettkampf. Dauernd wetteifern wir. Dauernd streiten wir, messen wir uns, kämpfen.
Dauernd wollen wir die Besten sehen.
Die beste Fußballmannschaft Europas.
Den besten Film des Jahres.
Die beste Band der Welt.

Alles wird geprüft und gemessen, Kriterien werden festgelegt, Ergebnisse niedergeschrieben. Und am Ende gewinnt nur einer, kein Unentschieden wird anerkannt, der Zweite hat schon verloren, Silber ist nicht gut genug.

Und das, was die Welt macht, wollen wir auch: Wir wollen uns messen. Wir müssen uns messen. Und wir müssen gewinnen, jeden Tag.
Wir müssen Erwartungen erfüllen; die der anderen und die ganz eigenen. Gegen Ängste kämpfen, das Schicksal besiegen. Wir streben nach Erfolg, nach Anerkennung, nach dem Sieg.
Und wir stellen unsere eigenen Wettkämpfe auf, formen eigene Kategorien:
Der Klassenbeste.
Die beste Freundin.
Die beste, die einzig wahre Musik.

Das ganze Leben ist ein Wettkampf.
Wer dauernd kämpft, kann nur verlieren. Die Kunst ist, die Siege mehr zu feiern als über Niederlagen zu weinen.

Mittwoch, 22. Mai 2013

Unsere Tränen.

Die Regentropfen fallen in Strömen vom Himmel hinab. Sie wirken wie Tränen; in jedem einzelnen steckt die Trauer eines Menschen. Die Angst. Die Einsamkeit. Der Regen schreit all die unausgesprochenen Gefühle hinaus in die Welt. Schreit sie den Menschen um die Ohren. Denen, die drinnen sitzen, die das Klopfen der Tropfen auf den Dächern hören. Denjenigen, die draußen herumlaufen, die sich mit Schirmen und Jacken vor all dem Leben schützen; die trocken bleiben wollen um jeden Preis. Und auch all jenen, die sich vom Wasser durchweichen lassen, deren Kleidung nass am Körper klebt; die sich nicht verstecken, die im Regen laufen und tanzen; die den Pfützen nicht ausweichen, die den Blick nach oben wenden - dort, wo der Himmel seine Tore öffnet.
Das sind jene, deren Tränen geweint werden. Jene, die wissen, was die Tropfen bedeuten; die wissen, dass es im Leben nicht immer Schutz gibt. Die erfahren haben, dass es Schlimmeres als Regen gibt; dass Nässe auch schön sein kann, weil sie sich so lebendig anfühlt.

Montag, 20. Mai 2013

Was bleibt.

"Bist du heilig, bist du selig?
Glaubst du wirklich, du bist ewig?

Schau in meine Hand,
das einzige, was bleibt, ist Sand!

Eine handvoll, die der Wind verweht!
Lang kein Denkmal, nur ein Traum, der geht!
Wie beim Baum im Winter fällt das Laub,
zerfällt zu Staub."

[Weto]


Und alles wird nichtig. Mit dem Tod. Oder schon davor.
Alles wird unwichtig, alles wird so banal.
Was du erreicht hast, verschwindet im Nichts. Was du dir aufgebaut hast, wird von anderen abgerissen.
Die Träume, die du gelebt hast, stehen still. Egal, ob sie erfüllt sind oder am Ende nur Illusion waren. Egal, wie lange sie dich begleitet haben, wie viel du dafür gekämpft haben magst. Sie verschwinden im Nichts, verschwinden mit dir, zerfallen zu Staub, weil keiner mehr da ist, der sie träumt. Keiner mehr, der sie braucht; der sie lebt.
Deine Erinnerungen, deine Gedanken, deine Ideen, deine Pläne - alles, was nicht ausgesprochen wurde, vergeht. Geheimnisse, die mit dir begraben werden. Nur noch Stille, die dich umgibt.

Und was bleibt, sind deine Überreste, deine Knochen, die Gebeine. 
Und die Erinnerungen an dich. Das, was du hinterlassen hast. Was du weitergegeben hast. Was für andere wesentlich war. Dein Wesen bleibt.
Bis du nicht mehr weitergegeben wirst - in Worten, in Bildern -, bis der letzte Schwall versiegt, der letzte Mensch stirbt, der noch an dich denkt. 
Bis dahin - und dann bist du tot. Zu Staub zerfallen. Banal und nichtig.

Freitag, 17. Mai 2013

Wie Grundschüler lachen.

Die Grundschule liegt im Sonnenschein, wie alles heute. Ich fahre mit dem Fahrrad daran vorbei. Gehetzt, zu spät dran, lustlos - ich trete fleißig in die Pedale. Ein leichter Wind weht und bläst die hellen Stimmen der Kinder zu mir herüber. Sie laufen auf dem Schulhof umher, haben offensichtlich Pause. Ich höre Lachen und Kreischen, freudiges Gebrüll und zarte Ausrufe.
Vor meinem inneren Auge laufen Bilder ab wie in einem Kinofilm. Ich sehe Kinder mit Schulranzen auf den Rücken, die viel zu groß scheinen für die kleinen Körper. Mädchen mit geflochtenen Haaren, Jungen, die gemeinsam an der Tischtennisplatte stehen. Ich sehe Lehrer, die dem bunten Treiben zuschauen, ab und an den Kopf schütteln und immer mal wieder die Stimme lauter werden lassen. Kinder, die nach dem letzten Streich Angst vor ihrer Klassenlehrerin haben. Und die trotzdem nichts befürchten müssen.
Ich sehe Unschuld und Naivität, Toleranz und Liebe für die Welt. Und im Hintergrund immer noch dieses Lachen, dieses Leben, dieser wundervolle Spaß.

Der Film in meinem Kopf endet langsam, die Stimmen verlieren sich im Wind. Ich merke, wie ich langsamer geworden bin, wie meine Beine nur noch ganz sanft in die Pedale treten. Ich habe es zwar eilig, aber trotzdem nehme ich mir Zeit. Zeit, die die Kinder auf dem Schulhof noch massenhaft haben und die ich wieder sehen können will.

Mittwoch, 15. Mai 2013

Blutlinien.

Mit einem roten Filzer in der Hand wandere ich meinen Arm auf und ab, hin und her. Ich drücke auf; hinterlasse Linien, blutrot. Sie verschwimmen, gehen ineinander über, überlagern sich.
Sie überdecken das Wahre; was war; wahr war.
Das, was darunter liegt. Die Spuren vergangener Tage, Spuren vergangenen Schmerzes.
Verfärben die verblassten Narben erneut in blutrot. Aber keines fließt.

Bis zum nächsten Duschgang. Wenn das Wasser verfärbt von meinem Körper fließt, fließt wie Blut. Wenn das knallende Rot verschwindet, die geraden Linien verblassen, nur noch pinkfarbene Suppe übrig bleibt.
Dann kommt das Darunterliegende zum Vorschein, die rauen Überreste, die holprigen Narben, die Andenken an Vergangenes. An Tage, als es noch keinen Filzstift gab. Tage, an denen Rasierklingen mich durch mein Leben begleitet haben. Als meine Hand Schmerzen hinterließ, Blutlinien nicht abwaschbar waren.

Damals. Und trotzdem hört's nie auf.

Sonntag, 12. Mai 2013

Autobahn.

Lichter rasen an mir vorbei
rasendschnell
weiß und rot
rot und weiß
alles verschwimmt, so schnell bin ich
rotundweißweißundrot

Lichter seh ich nur noch als Schimmer
schimmern grell
leuchten hell
ich weiter schnell
keine Konturen, kein Leben
alles zerfließt, zerfliegt
ich fließe durch die Welt

Mein Fuß steht auf dem Gas
steht und bleibt stehen
drückt und drückt fester
ich lockere ihn nicht
den festen Tritt
weiter, weiter, schneller, rasend
den Lichtern hinterher
den Lichtern entgegen

nur schwarz und hell
und dunkel und grell
nur Kontrast, nur der Blick nach vorn
nur ich.
und die nachtschwarze Autobahn

Freitag, 10. Mai 2013

Versteckt.

Ich verkrieche mich, ziehe mich zurück. Suche mir das beste Versteck, das es gibt. Das, wo kein Mensch je hineinkommen wird, niemand mich finden kann, ich für immer einsam bin.
Ich krieche in mich, versinke in mir. Bin doch ganz nah und trotzdem weit entfernt. Niemand wird mich finden, weil niemand mich sucht. Niemand kann mich sehen, weil ich es nicht will.
Nur mein Körper bleibt stehen, nur mein Äußeres lebt. Ich laufe durch die Straßen, gehe durch meinen Alltag, bestehe fort. Und bin trotzdem in meiner ganz eigenen Welt.

Bin einsam, sehe kein Licht - selbstgewählte Pein.
Je mehr Menschen um mich herum, desto weiter treibe ich fort. Desto mehr ziehe ich mich in Einsamkeit zurück. Desto tiefer verstecke ich mich. Mit jedem Wort verschwinde ich mehr, mit jedem lauten Geräusch entferne ich mich, verdrücke ich mich.
Nur wenn ich allein bin, stecke ich meinen Kopf aus meiner Hülle heraus, blicke um mich herum, sehe Licht, sehe Sonnenschein. Ich schaue in die Welt, bin nicht einsam, aber wohl allein.

Der Stacheldraht um mein Gefängnis bleibt. Mauern baue ich, Grenzen ziehe ich. Keiner darf hinein, wo ich am sichersten bin. Keiner darf sich nähern, wenn ich es nicht will. Und ich kann es nicht wollen.
Wünsche mir jemanden, der die Grenzen sprengt, über Mauern springt und die Zäune umgeht. Aber lasse doch niemanden hinein. Nicht in mein Reich, nicht in meine unangetastete Welt, nicht in das Versteck meines Wesens. Nicht in die Seele meiner Selbst.

Ich werde kleiner und kleiner, damit ich mich besser und besser verstecken kann. Damit ich nicht gesehen werde.
Unsichtbar, ein Knäuel nur. Versteckt, verbannt von mir selbst. Auf der Suche nach Sicherheit, eingesperrt, mit Angst vor der Flucht.

Mittwoch, 8. Mai 2013

Rennen und regnen.

Ich laufe durch die engen Gassen und der Regen fällt. Er fällt auf mich, trifft mich, durchnässt mich. Ich laufe weiter und weiter und ich werde nasser und nasser.
Mein T-Shirt saugt sich voll, meine Haare tropfen, überall Tropfen. Sie springen auf und ab, hüpfen hin und her; und ich hechte hindurch. Laufe Zickzack und kann doch nicht entkommen, komme nicht davon, kann mich nicht retten, kann nur verlieren - egal bei welchem Spiel. Ich werde getroffen und getroffen und gehe doch nicht zu Boden.
Auch wenn alles mich nach unten zieht. Das Gewicht meines durchnässten Shirts, meiner klitschnassen Hose, alles reißt mich in die Tiefe. Ich werde schwerer und schwerer und schwerer. Ich sinke hinab. Ich falle. Falle. Falle. In der Falle.
So schwer, ich kann mich kaum bewegen. So schwer, ich kann mein Bein nicht mehr heben. So schwer, der Boden bricht unter mir. Und alles bricht ein, es geht tiefer als es geht. Tiefer als die Welt, so tief hinab.
Und der Regen fällt weiter, fällt in mein Loch, fällt in die Tiefe. Alles wird nass, alles wird Wasser, die Pegel steigen und ich sinke. Tiefer, tiefer, wassertiefer.
Ich ersticke. Da ist nur Wasser um mich herum. Nur Wasser unter mir, nur Wasser über mir, in mir. Ich bin Wasser, schlucke Wasser, atme Wasser. Schnappe, schnappe, schnappe nach Luft - aber es ist keine da. Alles ist aufgebraucht, alles ist nichts, alles ist nass.
Und plötzlich hört der Regen auf, meine Schritte werden langsamer, ich bleibe stehen, sinke zu Boden. Ich bin gelaufen so weit wie noch nie, nur enge Gassen, aber ich weiß nicht wo.