Mittwoch, 27. März 2013

Chaos.

Der Mülleimer quillt über, weil ich ihn nicht rausbringe, nicht entleere, mir nicht mehr die Mühe gebe, die zerknüllten Zettel ordentlich hineinzuschmeißen.
Ich hasse diese Unordnung. Sie ist so hässlich abstoßend. Und doch so richtig. Weil mein Kopf sich genauso anfühlt, genauso übervoll ist, genauso voll mit zerknüllten Ideen, weggeworfenen Gedanken, Notizen, Kritzeleien.
Ich will keine Ordnung sehen. Ich will nicht vergleichen müssen, um dann zu merken, was für ein Chaos in mir herrscht. Das sichtbare Chaos schiebe ich vor; das ist wenigstens durchschaubar. Und wenigstens habe ich rein theoretisch die Chance, es aufzuräumen und zu sortieren.
Auch die Klamotten, die auf dem weißen Boden verstreut liegen, könnte ich in meinen Schrank hängen. Aber ich mache es nicht. Ich trete sie lieber beiseite, wenn ich durch mein Zimmer stapfe, wühle mich durch sie hindurch, wenn ich etwas suche und zerknülle sie dann entnervt.
Meine Wut lasse ich an den Kleidungsstücken aus. Alles, was sich anstaut. Alles, was mich ankotzt. Vor allem ist es die Wut darüber, dass ich im Chaos versinke. Und nichts dagegen tun kann.

Freitag, 15. März 2013

Im Seifenblasenwunderland.

Im Seifenblasenwunderland wird jeder Traum wahr. Und aus jeder klitzekleinen Ideenblase wird ein riesiger Erfolg. Alles glitzert und funkelt nur so, dass man sich fast die Augen zuhalten muss. Aber nur fast. Überall sind Regenbogen der Reflexionen zu sehen, alles strahlt in großer Farbenpracht. Jeder findet seine Lieblingsfarbe wieder, wie sie durch die Lüfte schwebt und Kreise zieht. Es gibt rot und blau, neonorange und pinkgrünkariert, kuntergraudunkelblund für die Älteren und kräftige, starke Wachsmalfarben für die Kleineren.
Immer ist gutes Wetter. Wenn die Sonne scheint, dann lacht sie mit den Einwohnern um die Wette, und wenn es regnet, spielen die vielen kleinen und großen blauen Regentropfen mit den vielen großen und kleinen glitzernden Seifenblasen. An solchen Tagen ist viel los im Seifenblasenwunderland, denn die Bewohner treten aus ihren Traumhäusern, um den Tropfen und den Seifenblasen beim Spaßhaben zuzuschauen. Sie alle lächeln und lachen und freuen sich - und wer schon mal eine Seifenblase lachen gehört hat, der weiß, wie ansteckend das ist.
Niemand ist mehr traurig an solchen Tagen, nur ganz wenig Kummer zieht auch in den übrigen Wochen in diesem Land umher. Denn wann auch immer Leere, Einsamkeit oder Angst in eine Person einzieht, so kommt doch immer schnell ein Schwarm funkelnder Seifenblasen an, der durch die Haut und durch den Mund in jeden Körperraum eindringt und die triste Leere füllt, der Angst das Fürchten lehrt sowie alle Einsamkeit mit Leben bereichert.
So strahlen die Bewohner des Seifenblasenwunderlands von innen heraus. Sie glitzern und funkeln mit den luftigen Blasen um die Wette. Aber keiner von ihnen verliert. Denn alle sind gleich viel wert in diesem Land; ein großer Seifenblasentraum zählt nicht mehr als eine klitzekleine Hoffnung und ein riesiger Mann ist nicht bunter als ein Mini-Mensch.

Keine Seifenblase ist je zerplatzt und weil immer neue Menschen mit immer neuen Träumen hinzukommen, vermehren sich die Blasen rasend schnell. Sodass die ganze Seifenblasenwunderwelt nur noch aus luftig weichen Seifenblasen besteht und es überall gemütlich ist.
Egal ob in meinem oder deinem oder unserem Traum, überall lebe ich gern, überall glitzert es schön, jeder Wunsch kann gleichzeitig bestehen.
Und niemals läuft jemand mit Messern durch das Land, keiner zersticht die zerbrechlichen Seifenblasen, niemand der einen anderen zerstört.
So lässt es sich leben, im Seifenblasenwunderland.

Donnerstag, 14. März 2013

Unraum.

Ob es wohl noch Orte auf der Erde gibt, die kein Mensch je gesehen hat?
Die nicht nur unberührt, sondern auch unbetrachtet, ungesehen, ungeachtet sind?
Die niemand vermissen würde? An denen sich alles verstecken könnte? Die sich vielleicht täglich ändern?

Wie viel Unraum wohl existiert, zwischen Straßen und Regeln und Wohnkomplexen. Wie viel nie betreten wird. Wie viele Welten unentdeckt.
Was dort wohl haust und graust und sich verkrochen hat?

Und was wohl geschieht, wenn an einem Tag, mitten im Leben, irgendwer die Schwelle überschreitet, den Unraum betritt, das Unbekannte entdeckt?
Vielleicht verschwindet all das Neue dann, all das Unentdeckte ist dann fort. Weil es nur im Geheimen existieren kann und Aufspürung unmöglich ist - denn bei Entdeckung ist es unentdeckbar.
Ein Paradox der Welt. Das für immer unbekannt bleiben wird.


Und vielleicht werde ich morgen einen Unraum betreten, ohne jemals davon zu wissen. Vielleicht hat vor mir niemand diesen Fleck berührt.
Auch wenn es nur ein Millimeter ist. Ich habe ihn gesehen.

Montag, 11. März 2013

Blickkontakt.

Unsere Blicke treffen sich. Ganz kurz nur. Ein Augenblick, in dem ich in ihre und sie in meine Richtung schaut. Und dann wenden wir uns beide wieder ab. Als wäre es abgesprochen, als wären wir erwischt worden bei etwas, das nicht gestattet ist.
Wir kennen uns nicht und wir werden uns nie wieder sehen. Ganz zufällig saßen wir im selben Restaurant, ganz zufällig trafen sich unsere Blicke, ganz schnell wendeten wir uns wieder dem Essen vor uns zu.
Dauernd passiert es. Dauernd mit anderen Personen. In Bahnen, auf der Straße, in Cafés und in der Schule. Mit Fremden, Freunden und Bekannten. Immer wieder ist er da, dieser eine Moment, in dem man sich anschaut. Und dann immer wieder das beschämte Wegschauen.
Als dürfte ich nicht anschauen, wen ich will. Hinschauen, wo ich will. Wegschauen, wann ich will.
Aus so viel Abstand und so viel Distanz besteht unser Leben, dass selbst die Augen der Menschen um uns herum unangenehm werden, wenn sie auf uns gerichtet sind. Wir fühlen uns dauerhaft entdeckt und können gleichzeitig nirgendwo hinschauen, ohne uns selbst zu verraten.
Die Blicke bleiben gesenkt. So sehr schämt sich die Welt.

Dienstag, 5. März 2013

Ende gut.

"Doch was kommt nach dem Happy End?"

Wenn die Kamerateams verschwinden. Wenn jeder den gewohnten Weg weitergeht, das gewohnte Leben weiterlebt, weil alles geklärt ist. Weil alles gut ist. Für den Moment.
Kurze Phasen des Glücks stehen plötzlich am Ende. Als wär danach Schluss. Als würde es danach ewig so weitergehen. Als wenn Leben nicht Hoch und Tief wäre; nicht unten und oben; nicht Ende und Anfang.
Was danach kommt, ist nicht der Schluss. Sondern eine neue Geschichte.

Filme und Bücher müssen irgendwo aufhören, müssen etwas beenden, was nicht beendet werden kann. Müssen abschließen - abschneiden, was noch folgen könnte.
Und dann steht da das Ende. Das glückliche Ende. Um Glück zu hinterlassen. Um Hoffnung zu verbreiten.
Dabei ist da eigentlich nichts als Ungewissheit. Nichts als die naive Sehnsucht nach unendlichem Jubel, unendlichen Glücksgefühlen, die doch eigentlich nur für Augenblicke gelten.

"Zum Schluss kommt ein Kuss,
das Gute siegt, weil es siegen muss."

Weil es immer so war. Weil es sich so gehört. Und weil Gerechtigkeit scheinbar selbstverständlich ist. Doch wenn sich jeder als gut definiert, geht die Rechnung nicht auf.
Jemand wird verlieren. Bloß sind das immer die anderen, wenn der Blickwinkel stimmt.
Das Happy End derjenigen folgt auf den nächsten vier Seiten. Nach dem Nachwort, wenn das Buch zugeklappt ist, wenn es im Regal steht. Oder nach dem Film, nach dem Abspann, nachdem jeder einzelne Schauspieler aufgelistet wurde.
Wenn ich abschalte, beginnt der nächste Film. Ich kann nichts tun. Außer so zu tun, als wüsste ich es nicht. Als wär mein Happy End endlos.


[Madsen]

Montag, 4. März 2013

Sonnentanz.

"Wenn morgen die Sonne scheint, kann alles so schlimm nicht sein"

[Jupiter Jones]


Die Sonne scheint. Den ganzen Tag.
Der Himmel strahlt in blau. So weit ich blicken kann.
Die Vögel zwitschern. Ihr Lied begleitet mich schon beim Aufstehen morgens. Und bringt mich durch den Tag.
Jede Schulstunde ist beim Blick aus dem Fenster nur halb so schlimm. Und auch den Lehrern, die ich eigentlich gar nicht leiden kann, höre ich heute gerne zu. Mitschüler, die sich normalerweise keines Blickes würdigen, lachen heute zusammen. Und auch wer einsam den Tag verbringt, fühlt sich überall zuhause heut.
Überall ist Leben. Und überall sieht man, wie jemand Neues angesteckt wird. Mit Leben infiziert; Lächeln eingeimpft.
Es ist, als würde jeder dem Nachbarn näherkommen. Jeder den Nächsten verstehen. Und als würde jeder dasselbe Ziel, dieselbe Hoffnung in sich tragen.
Sehnsucht nach Sonne. Und die Hoffnung, dass der Frühling bleibt.
Bis zum nächsten Nebel und zum nächsten kalten Regen sind wir alle vereint.


"Heut schlafen wir selig ein, weil morgen die Sonne scheint."

[Jupiter Jones]

Freitag, 1. März 2013

Die Weisheit des Teetrinkens.

Er öffnet langsam die Augen, reckt die Arme in die Höhe und streckt seine Nase dorthin, wo ein wenig Licht durch den kleinen Spalt des Rollos fällt. Sonnenlicht, morgens schon. Der Frühling kommt tatsächlich.
Lächelnd dreht er sich auf die Seite und schließt die Augen ein weiteres Mal. Allerdings nur dazu, um sie eine Sekunde später sofort geschockt wieder aufzureißen. Der unterbewusste Blick auf die digitale Anzeiger des Weckers veranlasst ihn dazu, denn von seinem Nachttisch aus leuchtet ihm bedrohlich 7:22 in roten Ziffern entgegen.
„Scheiß Teil!“, ruft er laut und weckt sich damit selber gänzlich auf. „Was klingelst du denn nie?!“ Als grausame Antwort springt die Anzeige auf 7:23 um.
Er wirft die Bettdecke beiseite, läuft zum Schrank, stößt sich auf halbem Weg den großen Zeh und springt dann auf einem Bein weiter. Mit ein paar der obersten Kleidungsstücke auf dem Arm hüpft er ins Badezimmer und spritzt sich Wasser ins Gesicht. Das frische T-Shirt halb über den Kopf gezogen, hinkt er daraufhin eilig ins Wohnzimmer, um den eingehenden Anruf denkbar knapp zu verpassen.
„Arschlöcher!“, brüllt er in den toten Hörer und knallt ihn auf den Tisch.
In T-Shirt und Boxershorts gekleidet, öffnet er die Tür zur Küche und seine Katze springt ihn mit scharfen Krallen an.
„Miau!“, ruft sie und wirft ihm damit deutlich hörbar vor, über Nacht eingesperrt gewesen zu sein. Was er davon hat, sieht er im nächsten Moment. Der Boden der Küche ist mit Essensresten und Fetzen von Papiertüchern übersät, die birkenfarbenen Schränke sind zerkratzt.
„Du Mistvieh!“, ruft er aus, während ihm kurz nach dem Aufsetzen des nackten Fußes die kleine Pfütze auf dem Boden auffällt. „Du verdammtes Miestvieh!“
„Miau!“, antwortet seine Katze, ganz ohne Reue in der dünnen Stimme.
Er geht leicht humpelnd zur Spüle und versucht sich so zu verrenken, dass er den verletzten und nun auch benässten Fuß unter das laufende Wasser halten kann. Es spritzt auf den Boden, gegen die Wände und auf sein frisches T-Shirt, allerdings nicht auf die richtige Stelle, sodass er nach einigen Versuchen genervt aufgibt und das Wasser stattdessen in den Wasserkocher füllt.
„Wenigstens gibt es noch Tee“, sagt er, während er das Regal öffnet und ihm die unterschiedlichsten Teesorten auf den Kopf fallen.
Er schließt die Augen und schüttelt den Kopf, hebt einen Beutel auf und hängt ihn in seine Tasse, die zwar nicht abgewaschen ist, aber sauber aussieht.
Mit lautem Brodeln kündigt das Wasser an, nun heiß genug zu sein, daher hebt er den Wasserkocher an und schüttet sich etwas auf den Teebeutel und aus Versehen auch auf seine Hand.
„Au, scheiße!“, brüllt er und schafft es gerade noch, die Tasse festzuhalten. Er schleppt sich mit ihr zum kleinen Küchentisch und lauscht der Musik aus dem Radio, das wohl seit dem Vortag durchgehend läuft.
Lasst uns lernen, uns mehr zu freuen“, liest er auf dem kleinen Zettel seines Yogi-Tees.
„Ach, leckt mich doch!“, denkt er sich, bleibt jedoch ruhig. Er legt seinen Kopf auf den Tisch und versucht, die Stille zu genießen, die nur dadurch gestört wird, dass seine Katze scheinbar gerade das Badezimmer ausräumt und der Radiomoderator Telefonstreiche ausprobiert.


Zögernd hebt er den Kopf wieder. Er lässt seinen Blick durch den kahlen Raum schweifen. Die nackten Wände, das kleine Bett, die Gitterstreben vor dem Fenster.
Seufzend erhebt er sich von dem kleinen Stuhl, schleicht zur Wand gegenüber, ritzt einen weiteren Strich für einen weiteren Tag in der JVA ein. Und als er sich aufs Bett fallen lässt, kann er die Tränen nicht zurückhalten.
Auf dem Tisch steht kalter Tee, ein Schild hängt aus der Tasse.
Mach deine Gedanken nicht zu deinem Gefängnis