Freitag, 1. März 2013

Die Weisheit des Teetrinkens.

Er öffnet langsam die Augen, reckt die Arme in die Höhe und streckt seine Nase dorthin, wo ein wenig Licht durch den kleinen Spalt des Rollos fällt. Sonnenlicht, morgens schon. Der Frühling kommt tatsächlich.
Lächelnd dreht er sich auf die Seite und schließt die Augen ein weiteres Mal. Allerdings nur dazu, um sie eine Sekunde später sofort geschockt wieder aufzureißen. Der unterbewusste Blick auf die digitale Anzeiger des Weckers veranlasst ihn dazu, denn von seinem Nachttisch aus leuchtet ihm bedrohlich 7:22 in roten Ziffern entgegen.
„Scheiß Teil!“, ruft er laut und weckt sich damit selber gänzlich auf. „Was klingelst du denn nie?!“ Als grausame Antwort springt die Anzeige auf 7:23 um.
Er wirft die Bettdecke beiseite, läuft zum Schrank, stößt sich auf halbem Weg den großen Zeh und springt dann auf einem Bein weiter. Mit ein paar der obersten Kleidungsstücke auf dem Arm hüpft er ins Badezimmer und spritzt sich Wasser ins Gesicht. Das frische T-Shirt halb über den Kopf gezogen, hinkt er daraufhin eilig ins Wohnzimmer, um den eingehenden Anruf denkbar knapp zu verpassen.
„Arschlöcher!“, brüllt er in den toten Hörer und knallt ihn auf den Tisch.
In T-Shirt und Boxershorts gekleidet, öffnet er die Tür zur Küche und seine Katze springt ihn mit scharfen Krallen an.
„Miau!“, ruft sie und wirft ihm damit deutlich hörbar vor, über Nacht eingesperrt gewesen zu sein. Was er davon hat, sieht er im nächsten Moment. Der Boden der Küche ist mit Essensresten und Fetzen von Papiertüchern übersät, die birkenfarbenen Schränke sind zerkratzt.
„Du Mistvieh!“, ruft er aus, während ihm kurz nach dem Aufsetzen des nackten Fußes die kleine Pfütze auf dem Boden auffällt. „Du verdammtes Miestvieh!“
„Miau!“, antwortet seine Katze, ganz ohne Reue in der dünnen Stimme.
Er geht leicht humpelnd zur Spüle und versucht sich so zu verrenken, dass er den verletzten und nun auch benässten Fuß unter das laufende Wasser halten kann. Es spritzt auf den Boden, gegen die Wände und auf sein frisches T-Shirt, allerdings nicht auf die richtige Stelle, sodass er nach einigen Versuchen genervt aufgibt und das Wasser stattdessen in den Wasserkocher füllt.
„Wenigstens gibt es noch Tee“, sagt er, während er das Regal öffnet und ihm die unterschiedlichsten Teesorten auf den Kopf fallen.
Er schließt die Augen und schüttelt den Kopf, hebt einen Beutel auf und hängt ihn in seine Tasse, die zwar nicht abgewaschen ist, aber sauber aussieht.
Mit lautem Brodeln kündigt das Wasser an, nun heiß genug zu sein, daher hebt er den Wasserkocher an und schüttet sich etwas auf den Teebeutel und aus Versehen auch auf seine Hand.
„Au, scheiße!“, brüllt er und schafft es gerade noch, die Tasse festzuhalten. Er schleppt sich mit ihr zum kleinen Küchentisch und lauscht der Musik aus dem Radio, das wohl seit dem Vortag durchgehend läuft.
Lasst uns lernen, uns mehr zu freuen“, liest er auf dem kleinen Zettel seines Yogi-Tees.
„Ach, leckt mich doch!“, denkt er sich, bleibt jedoch ruhig. Er legt seinen Kopf auf den Tisch und versucht, die Stille zu genießen, die nur dadurch gestört wird, dass seine Katze scheinbar gerade das Badezimmer ausräumt und der Radiomoderator Telefonstreiche ausprobiert.


Zögernd hebt er den Kopf wieder. Er lässt seinen Blick durch den kahlen Raum schweifen. Die nackten Wände, das kleine Bett, die Gitterstreben vor dem Fenster.
Seufzend erhebt er sich von dem kleinen Stuhl, schleicht zur Wand gegenüber, ritzt einen weiteren Strich für einen weiteren Tag in der JVA ein. Und als er sich aufs Bett fallen lässt, kann er die Tränen nicht zurückhalten.
Auf dem Tisch steht kalter Tee, ein Schild hängt aus der Tasse.
Mach deine Gedanken nicht zu deinem Gefängnis

3 Kommentare:

  1. Richtig tolle Geschichte. Gibts nen Grund dafür, dass es in ner JVA spielt?

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    1. Danke (:
      Außer dass das so gut gepasst hat als Metapher oder Vergleich oder Veranschaulichung oder was auch immer, nein.

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    2. Auf so ne Idee muss man erst mal kommen, wär ich ja nie :)

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