Donnerstag, 13. Februar 2014

Erinnerungen.

Der Wind, der mir ins Gesicht weht, während ich mit meinen kurzen Beinchen in die Pedale des Kettcars trete und trotz Geschwindigkeit am Limit noch von Fußgängern überholt werde. Das krakelige Haus mit Schornstein und rotem Dach, das ich auf das vor mir liegende Papier malen muss; ich traue mich nicht, zu husten, weil ich befürchte, sonst durch den Einschulungstest zu fallen. Meine Schultüte, die ich, auf einem weißen Teppich sitzend, ausschütte. Die blaue Wand meines Zimmers, das mein Vater und ich gerade gestrichen haben. Das weißte Gartentor, hinter dem ein Hund bellt, sobald ich vorbeigehe; ich beschleunige meine Schritte jedes Mal. Die Ohrfeige, weil ich die Mathe-Hausaufgaben nicht verstehen kann oder verstehen will. Die Bühne, auf der wir aufgereiht stehen und singen, der Blick ins Publikum, die plötzliche Übelkeit, die mich zwingt, abzutreten und mich vor der Kirche auf den steinernen Boden zu setzen. Das erste Mal Busfahren ohne Karte; die Augen des Busfahrers im Spiegel; ich fühle mich beobachtet. Die Nacht vor meinem neunten Geburtstag, in der ich nicht schlafen kann und versuche, Schäfchen zu zählen. Das hölzerne Geländer, über das ich klettere, dann plötzlich das bodenlose Nichts, der freie Fall, das Liegenbleiben am Boden, das Überprüfen, ob ich mich noch bewegen kann. Der Ball, der vor meine Füße rollt und von meinen Füßen ins Tor und dann im Netz zappelt und alles jubelt und das High Five danach; mein erstes Tor. Die geweiteten Augen des Fußgängers, als ich gegen ihn fahre. Der bunte Brief in meinem Briefkasten, als ich von der Schule nach Hause komme; ich verstecke ihn in meiner Tasche und werde mit niemandem darüber reden. Die rote Note auf meiner Mappe, die nichts als Enttäuschung hinterlässt, weil ich so lange daran gearbeitet habe. Die roten Gummistiefel, mit denen ich über die Weide laufe, und versuche, die Schafe einzufangen. Das rote Notenheft und das Klavier, auf dem ich spielen soll. Die roten Krücken und wie sie mir in die laus-besetze Hecke fallen. Die blaue Schaufel, mit der mein Bruder auf mich einschlägt. Die Steiff-Dinosaurier, die wir im ganzen Haus verteilen, um uns dann gegenseitig beim Suchen anzufeuern. Die Frage, ob ich nicht lieber über Nacht bleiben wolle. Der heiße Tee, den mir die Nachtschwester ans Klappbett bringt. Das grüne Hochbett, das mit Namen und Narben verziert ist. Der dicke Bauch meiner Mutter, um den meine Arme irgendwann nicht mehr herumpassen. Der winzige Fußabdruck auf dem blauen Papier, mit dem ich nichts anfangen kann, bis mein Bruder mir die dazugehörigen winzigen Füßchen entgegenstreckt. Die zwei kleinen Jungen im Bett neben mir, deren Mutter den ganzen Tag im Zimmer bleibt. Das kalte Geländer, an dem ich mich festklammere, als ich meine ersten Schritte nach tagelangem Liegen auf den PVC-Boden setze. Der kalte Rand der Toilettenschüssel. Das Lachen der anderen in der U-Bahn. Die große blaue Tasche, die ich jedes Wochenende mit meiner dreckigen Wäsche fülle und durch Bus und Bahn nach Hause schleppe. Der Friseur, der mich fragt, ob ich mir sicher bin. Das einsame Fleckchen Erde mit einem Dach aus Ästen darüber, unter das ich mich verkrieche, sobald es zur Pause klingelt. Zu dritt auf einen Stuhl gezwängt sitzen, um Computer zu spielen. Der Swimming-Pool auf dem Bauernhof; die frische Milch dazu. Rauschende Flüsse, die am Auto vorbeiziehen, in dem wir gemeinsam singen. Die kalten Steine des Carports, auf die ich mich fallen lasse, um nicht zur Schule zu müssen. Das Polizeiauto, das mir sofort in die Augen springt, als ich die Tür öffne, und die Frage, ob meine Mutter denn auch zu Hause ist. Die Angst, nicht wieder nach Hause zu finden.

2 Kommentare:

  1. Das sind alles so scheinbar unheimlich zusammenhangslose Fetzen... Aber das wissen, dass sie dir wichtige Teile deines Lebens beschreiben verbinden sie und macht sie so besonders...
    Immer wieder denke ich: oh man, ich will dich persönlich kenne!
    Nicht motivationslos keine Mails schreiben, sondern angeregt reden... Ach mensch. Doofe Entfernung.

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  2. der text ist so wunderschön
    mir fehlen die worte.

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