Mittwoch, 13. November 2013

Zeig mir deine Arme.

Zeig mir, was unter deinen Ärmeln liegt.
Zeig mir deine nackte Haut, zeig mir deine Arme.
Ich höre den Geschichten zu, die deine Narben mir erzählen. Ich fühle den Schmerz mit dir, den du erlebst. Ich kleb dir ein Pflaster auf die Überreste deines Leids. Ich mal dir einen Schmetterling auf die blasse Haut. Der nicht sterben darf. Der leben will, davonfliegen, sich aufmachen, auf den Weg in eine bessere Welt. Auf den Weg bring ich dich.
Ich schreib dir Liebe auf die Arme und reich dir die Hand. Ich halte dich fest, lass dich nicht los. Halte die Finger, die zur Klinge greifen.
Ich schlag mit dir auf Wände ein, wenn die Wut zu stark ist. Ich renne mit dir durch den Regen, wenn der Druck zu groß ist. Ich bleib mit dir liegen, wenn nichts mehr geht. Und zieh dich auf die Beine, wenn du es selbst nicht mehr kannst.

Ich nehm dich in die Arme. Errichte Mauern um dich, ein Bollwerk, eine eigene kleine Burg. In die kein Feind, kein feindliches Gefühl Einzug erhält.
Ich stehe hier und bleibe hier.

Zeig mir deine Arme. Und ich zeig dir meine.

Sonntag, 10. November 2013

Es brennt in mir.

In mir brennt ein Feuer. Es verzehrt mich, es frisst mich auf, es brennt alles nieder.
Es ist heiß und ich spüre, wie es in mir lodert. Wie es alles angreift, was dort lebt. Wie es meine Organe zu Staub zerlegt. Wie es meine Gefühle in Asche verwandelt. Wie es mich attackiert, von innen heraus.
Ich kann es nicht sehen, ich komme nicht an es heran. Und kann es deswegen nicht löschen. Ich kann nichts retten, kann mich nicht vor den alles verzehrenden Flammen beschützen.
Ich merke, es ist da. Und kann doch nichts tun. Auch wenn ich alles probiere.

Ich versuche, die Flammen zu ersticken. Ich halte die Luft an und atme nicht mehr, damit kein Sauerstoff an den Brandherd gelangt. Aber es bringt nichts. Ich halte es nicht lange genug durch. Wenn ich nach 30 Sekunden wieder nach Luft schnappe, lodert auch das Feuer wieder auf.
Ich versuche, den Brand mit Wasser zu löschen. Ich trinke und trinke, spüle alles runter, damit das Feuer in der Flut erlischt. Es ist nicht möglich. Das, was in mir brennt, ist resistent. Es ist haltbar. Es will nicht sterben. Es will seine lodernden Flammen nicht besiegt wissen. Es will vernichten.
Alles, was in mir ist. Alles, was in mir lebt, will es töten. Das Feuer frisst sich durch mich hindurch. Aber es zeigt sich nicht. Es ist in mir. Es flackert versteckt. Sodass nur ich es spüren kann. Nur ich weiß, es ist da.

In mir brennt ein Feuer. Und trotzdem friere ich.
Es ist nicht wärmend, es spendet kein Leben. Es ist ein kalter Brand. Der nicht gelöscht werden kann, solange ich lebe. Die Flammen ernähren sich von mir.

In mir brennt mein Feuer.

Mittwoch, 6. November 2013

Bruder.

Es ist Schulschluss. Endlich. Ich trabe mit meinen Freunden langsam über den Schulhof. Wir weichen Fünftklässlern aus, die sich über den Platz jagen, Sechstklässlern und ihren Fußbällen, Siebtklässlern, die in kleinen Gruppen zusammenstehen und sich ausgiebig voneinander verabschieden.

Da kommt was Kleines angelaufen. Es boxt mir gegen die Schulter. Es sagt: "Moooin!" und streckt seine Hand zum High Five aus.
Meine Freunde grinsen und ich wende mich dem Kleinen zu. Er beginnt zu erzählen. Von Wettkämpfen und Klassenarbeiten, von seinen Freunden und seinem Wochenende.
Ich höre zu, bleibe still, nicke und ich freue mich.
"Fahren wir zusammen?", fragt er mich auf dem Weg zu den Fahrradständern.
Klar, machen wir. Warum nicht. 
Also Tschüss zu meinen Freunden, tschüss zur Schule, schnell dem Kleinen hinterher. Der ist schon meterweit voraus, schließt schon sein Fahrrad auf. Aber er wartet auch gerne auf mich, hat es nicht eilig, grinst mich an, als wir dann endlich starten.
Nebeneinander, durch den grauen November. Er atmet schwer, tritt fleißig in die Pedale, um Schritt zu halten und redet dabei ununterbrochen. Er erzählt mir sein Leben, will in 10 Minuten alles loswerden, was er erlebt.
Ich bin einfach da, fahre meinen Weg, schaue immer mal wieder zu ihm rüber, füge in seine Redepausen ein "cool!" ein "wow!" ein "ja, krass!" ein.

Einige Kreuzungen, Ampeln, Zebrastreifen und ganz viel Erzählen später, trennen sich unsere Wege. Er überquert die Straße und ruft mir zwischen den Autos ein lautes "Tschööö, Bro!" zu und entfernt sich dann, fährt rasend weiter, auf dem Weg zur nächsten Mission.
Tschüss! Schön, dass es dich gibt, kleiner Bruder!


"Sometimes being a brother is even better than being a superhero."

[Marc Brown]

Freitag, 18. Oktober 2013

Manchmal ist das so.

Manchmal fühle ich mich wie ein Elefant. Schwer und schwerfällig. Meine Arme sind wie aus Beton, meine Beine riesige Tatzen. Ich kann mich nicht bewegen, kann kaum laufen, kann kaum gehen. Dann bleibe ich einfach liegen, groß und grau, ganz allein.
Manchmal fühle ich mich wie eine Feder. Dann fliege ich davon, bin frei, getragen nur vom Hauch des Windes. Ich schwebe dann, zwischen Wolken, zwischen Vögeln, ich bin allein mit mir, aber Einsamkeit verspüre ich nicht.
Manchmal fühle ich mich wie schwarz und manchmal wie weiß; manchmal bin ich eine ganze bunte Farbpalette. Ein Gemisch aus allem, ein Feuerwerk aus tausend Nuancen.
Manchmal bin ich stark und manchmal bin ich schwach.
Manchmal fühle ich mich so richtig verrückt.
Und manchmal denke ich, das ist normal.

Montag, 14. Oktober 2013

So verdammt unsichtbar.

Aus dem Nichts taucht er auf. Und ist plötzlich da. Überall, wo ich auch bin. Er kommt mir entgegen, wenn ich zur Schule gehe. Er sitzt auf der Bank in der Stadt, wenn ich zum Einkaufen laufe. Er überquert die Straße, wenn ich aus dem Fenster schaue.
Unvermittelt sehe ich ihn jeden Tag. Und kenne seinen Namen nicht. Weiß nicht, wo er wohnt, woher er kommt; wie er lebt, was er macht. Ich weiß nur: Er ist da.
In seinen beigen Klamotten - weite Jacke, helle Hose, immer einen Beutel dabei. Ich frage mich, was darin ist. Sind es Fotoalben? Das würde passen. Die Einkäufe, die er immer bei sich trägt? Erinnerungen? Sein Leben? Ist es alles, was er hat?
Oft überlege ich, mich neben ihn zu setzen, wenn er alleine auf einer grünen Parkbank sitzt. Mit ihm gemeinsam den Posten zu beziehen, den Tag zu beobachten.
Wen er wohl alles kennt? Was er wohl alles sieht? Er ist das Auge der Stadt, weiß über alles Bescheid. Und man kennt ihn nicht. Ob er Listen führt, darauf wartet, dass ihn jemand anspricht? Dass jemand die Mauer seiner Einsamkeit durchbricht?
Und warum er wohl so plötzlich immer da ist? Ist er unverhofft vereinsamt, seine Frau gestorben, seine Kinder weggezogen? Oder war er vielleicht schon immer da - jeden Tag, mein Leben lang - und ich habe ihn nur nie bemerkt?
Wie viele unsichtbare alte Menschen geistern wohl noch durch die Stadt? Wie viele haben ihren Tarnmantel umgelegt und begegnen mir doch - wie er - jeden Tag? Während ich an der Kasse stehe, an der Ampel warte, wie viele unsichtbare Augen folgen mir? Wohin müsste ich mich wenden, um sie alle zu sehen?

Der alte Mann sitzt heute wieder auf der Bank. Ich schaue ihn an, verlangsame meine Schritte, lächle ihn an und nicke ihm zu. Ich wende meinen Blick nicht von ihm ab. Doch er sieht mich nicht, sieht nur den Boden an. Eingefallen sitzt er da, eingefallen ist sein Leben - vielleicht, ich weiß es nicht. Gar nichts weiß ich.
Und ich gehe weiter, lasse ihn hinter mir. Heute sprechen wir nicht. Heute setze ich mich nicht. Heute kein Gespräch mit ihm.
Vielleicht ja morgen, vielleicht wage ich den Schritt. Vielleicht zeigt er mir dann den Inhalt seiner beigen Tasche, vielleicht erzählt er mir aus seinem Leben? Vielleicht verrät er mir seinen Namen und wir tauschen mehr als nur den einen Blick.

Plötzlich, einige Schritte weiter, außer Sichtweite des alten Herrn, durchzuckt mich ein Gedanke, voller Wucht: Was, wenn er morgen nicht mehr da ist? Wenn ich ihn nicht mehr finde, wenn er den Mantel der Unsichtbarkeit wieder umgelegt hat? Oder gar für immer von hier verschwunden ist, ohne dass ich ihn je gegrüßt habe, dass wir je ein Wort gewechselt hätten?
Ungekannt würde er verschwinden, namenlos ausradiert, ein Unsichtbarer weniger in der vollgelebten Stadt.

Ich würde dich vermissen, alter Mann!

Freitag, 11. Oktober 2013

Kartenhaus.

Ein leichter Windhauch weht. Ich laufe aufgeschreckt hin und her.
Die Karten meines Kartenhauses werden verweht. Alles, was ich aufgebaut habe, wird erschüttert. Alles bricht auseinander, das Gebäude, meine Welt.
Ich versuche zu retten, was zu retten ist. Ich halte Karten fest, drücke sie, ergreife sie.
Doch der Sturm ist zu stark. Alles wankt. Mein Haus, mein Leben, alles wankt. Auch ich wanke im Hurrikan. Die Windhose reißt alles mit sich, der Tornado hinterlässt eine Schneise der Zerstörung.

Mein Haus ist dem Boden gleichgemacht. Ich bin dem Boden gleichgemacht, liege auf der Erde, von Karten zugedeckt. Es ist dunkel, denn die Decke der Überreste lässt kein Licht hindurch.
Ich liege und atme nicht. Liege ganz still, in der Hoffnung, dass niemand mich sieht, dass der Sturm mich niemals mehr findet. Dass er mich liegen und sterben lässt. Hier am Boden.
Doch er tut mir nicht den Gefallen, diesen letzten großen Wunsch. Er kommt zurück und bläst mein gefallenes Leben durcheinander; die Karten fliegen davon, decken mich auf, die Welt kann mich sehen, wie ich hier am Boden liege.
Und auch das Licht kommt zurück. Von bedrohlich aufgetürmten Wolken zwar verdeckt, aber ich kann wieder sehen.
Ich sehe, was um mich herum ist - Nichts.
Ich sehe, dass ich allein bin.
Alles zusammengebrochen.
Nur in den Händen halte ich die Reste meiner Welt.
Pik 10 rechts
Pik Ass links
Der Anfang meines neuen Blatts. Meines Royal Flush. Oder eines neuen Hauses. Der Bau kann beginnen, hier im Nichts.

Mittwoch, 2. Oktober 2013

Ins Exil verbannt.

Hier sitze ich nun. In meinem Exil. Mein Herz brennt. Ich stehe in Flammen. In mir lodert ein Feuer, eine Sehnsucht, die mich verzehrt.
Ich kann das Gefühl nicht in Worte fassen, dabei ist es so leicht. Ich kann nicht beschreiben, was ich sagen will, dabei ist es doch so klar. Ich vermisse dich.

Auch wenn ich es verbergen kann, auch wenn ich mein Leben lebe und es nicht den Anschein macht, in mir drin bin ich gefangen, hinter hohe Mauern gesperrt. Ich verbüße die Strafe, die ich verdiene. Mein Herz auf Ewig in Dunkelheit verbannt.
Ich habe mich bestraft. Ich habe dich verletzt.
Das kann ich mir nicht verzeihen, ich werde es nie können. Und die Frage, die Frage aller Fragen: Wenn ich es nicht kann, kannst du es dann? Kannst du mir verzeihen? Willst du es?
Darf ich wieder vor dir stehen, auch wenn ich es war, der schuldig ist? Und denkst du an das, was war, bevor ich ging? Weißt du, wo ich jetzt bin?

Ich bin hier, allein mit der Last der Schuld. Ich sitze und warte. Warte darauf, dass ich mir verzeihen kann. Ich warte auf mein Leben. Ich warte darauf, dass ich aus der Verbannung zurückkehren kann, dass meine Strafe abgesessen ist.
Doch das kann sie erst sein, wenn du keinen Schmerz mehr fühlst. Wenn du geheilt bist von den Wunden, die ich dir zugefügt habe, wenn die Narben verblasst sind. Erst dann darf ich gehen. Erst dann bin ich frei. Frei von dir.
Das ist die Schuld des Täters. Die Pflicht des Täters. Das einzige, was ich noch tun kann. Mein einziger, mein ewiger letzter Schritt im Leben mit dir. Ich bin Täter. Ich verachte mich dafür.

Ich will zu dir, ich will die Chancen nutzen, will alles wieder gutmachen, was nicht gutzumachen ist. Mein Herz schmerzt - aber ist das nicht gerecht? Denn ich trage die Schuld.

Meine Dunkelheit, meine Einsamkeit, meine Verbannung, mein Exil.
Ich sitze hier, den Finger auf deinem Namen, die Nachricht eingetippt. Und die Frage ist, kann ich auch damit leben, dass du nein sagst? Dass du mich wegschickst, mich endgültig verbannst, ohne Bewährung dieses Mal? Mir den seidenen Faden zerreißt, an dem meine Verbindung zu dir hängt? Der Faden, der sich Hoffnung nennt.
Kann ich das? Ich glaub, ich kann es nicht.

Also bleibe ich weiter hier, höre unsere alten Lieder und mein Herz zerbricht. Niemand, dem ich die Schuld geben kann, niemand, der die Verantwortung trägt. Außer ich.
Ich habe mich selbst verbannt und vermisse dich jetzt.