Donnerstag, 31. Mai 2012

Die Schuldigen.

Es kann auch schöne Tage geben.
Mit den Eltern, die nicht meine Eltern sind. Bei denen ich aber trotzdem das Gefühl habe: So soll Familie sein.

Manchmal ist es schade, sich sowas im Leben nicht aussuchen zu dürfen. Manchmal würde man die Realität am liebsten verändern, um sein Ideal ausleben zu können.
Und manchmal denkt man, nur mit einem solch unmöglichen Wandel sein Leben perfektionieren zu können, dabei muss man einfach nur in der Realität bleiben und an dieser arbeiten.
Ach, wenn das Einfache so einfach wäre ... 

Statt "Ich wünschte, ich wäre mit euch als Eltern aufgewachsen", "Ich bin nur durch meine Vergangenheit wirklich ich und ich bin froh, dass ihr da seid" zu sagen, scheint schwerer. Vielleicht weil man lieber einen Schuldigen (und wenn es 'nur' das Leben ist) nennt.

Hat man einen Schuldigen, hat man auch ein Ziel für scheinbar unbegründete Wut und Ärger. Denn alles ist durch die offenkundige Schuld zu begründen, daher kein Fehler mehr bei sich selbst zu suchen.


Trotzdem fragt man sich immer wieder: "Was wäre, wenn diese eine Kleinigkeit im Leben anders gelaufen wäre...?"
Ganz einfach ... Dann wäre es nicht mehr mein Leben!

Dienstag, 29. Mai 2012

Und sie rennt, rennt, rennt.

Ja, sie rennt. Rennt die ganze Zeit. Meistens vor mir weg. Aber manchmal auch hinter mir her, um mich dann einzufangen und zu Boden zu werfen.
Ich versuche, sie zu fassen. Aber es gelingt mir nicht. Sie entgleitet meinen Händen, ich kann sie nicht sehen. Ich kann sie auch nicht beschreiben, ich weiß nur, dass sie existiert. Dass sie existiert und mir Probleme bereitet. Sie bereitet mir gerne Probleme, nämlich indem sie weg ist. Weggerannt. Nicht mehr da. Einfach so. Von einen auf den anderen Moment.
Gestern hatte ich noch mehr als genug von ihr. Und heute? Heute merke ich, dass sie gestern schon weg war..
Es ist verzwickt. Es ist unverständlich. Es ist ... nicht zu fassen.
Jedes Mal aufs Neue lasse ich mich von ihr überlisten. Traue dem trügerischen Schein, dass sie ja schon noch da sein wird. Und jedes Mal werde ich unruhig, wenn sie weg ist. Ich versuche, ihr hinterherzurennen und falle dabei nur selbst auf die Fresse. Ich tue mir weh, verletze mich, powere mich aus, stresse mich noch mehr ... und sie kommt eh nicht wieder.

Denn alles, was sie macht, ist rennen, rennen, rennen. Nichts sonst. Ihr ganzes Leben besteht aus Rennen und Vergehen.

Ja, so ist das mit der Zeit. Mit meiner Zeit. Mit unser aller Zeit.



Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen.

[Seneca]

Hätte ich.

Ich hätte es nicht erzählen sollen.
Ich reiße dich mit runter.
Ich gebe dir die Verantwortung für etwas, das nur ich verantworten kann.
Ich erteile dir eine Aufgabe, die ich nicht lösen will.

Ich hätte nicht, aber ich habe. Warum?
Weil ich Reaktionen wissen wollte?
Weil ich das loswerden wollte, worüber ich am meisten nachdenke?
Weil ich dich überall mit reinziehen will?

Nun habe ich es dir erzählt.
Du wirst es nicht mehr vergessen.
Du lässt dich runterziehen.
Du erzählst es weiter.


Ich kann nur noch abschwächen.
Doch das bedeutet lügen.
Ich muss dich anlügen, um dir nicht wehzutun. Um mich von dir zu lösen, bevor ich den Weg in die Tiefe antrete. Um dich von deiner Aufgabe zu befreien, bevor sie dir misslingt. Um dein Leben zu retten.

Es ist wahrscheinlich schon zu spät.



Ach, hätte ich...!

Montag, 28. Mai 2012

Freiheit.

Oben bin ich frei. Oben in den Bäumen. Oben, wo außer Vögeln und Insekten kein Leben ist. Oben, wo ich auf mich allein gestellt bin. Wo die Herausforderung wartet, die mir zeigt, was ich schaffen kann. Die mir zeigt, wie stark ich sein kann. Die mir zeigt, wie weit ich kommen kann.
Dort, wo die nächsten Menschen 8 Meter unter mir stehen. Ich realisiere sie nicht. Ich will sie nicht realisieren. Ich will allein sein. Ich will Abstand.

Doch ich weiß, ich kann nicht ewig hier oben bleiben. Ich muss wieder runter. Niemand würde verstehen, dass die Luft hier oben viel schöner riecht, dass sich die Freiheit grenzenlos ausstreckt, dass mein Glück unbeschreiblich ist.
Also lande ich wieder. Auf dem Boden, auf dem Millionen andere Menschen auch stehen. Der Baum da oben gehörte mir ganz allein.
Doch nein, den Boden muss ich teilen. Und schnell bin ich umgeben von Menschen. Menschen, die sich mit mir unterhalten wollen. Menschen, die Erwartungen haben. Menschen, die mich einzwängen. Die mich wieder in den tiefsten Winkel meiner körperlichen Hülle zwängen.
Ich will das innere Ich nicht rauslassen. Es muss noch geschützt werden, ist selbst noch zu schwach. Nur wenn die nächsten Personen so weit weg sind, dass sie nicht schnell an mich rankommen, kann es ein wenig Licht schnuppern. Es kann Sonne spüren, Leben fühlen, Freiheit genießen. Genau wie ich.


Ich war heute im Klettergarten. Jetzt ist mein Ich wieder eingezwängt in mir, denn meine Familie ist so nah. Immer drücken sie meine Gefühle tiefer in meinen Körper, schlagen ohne körperliche Gewalt auf mich ein, stopfen, stopfen und stopfen.
Die Emotionen müssen weg, weg, weg! Bloß nicht zeigen! Bloß nicht zulassen!
Aber eine Hülle allein kann doch nicht leben.

Lasst mich frei!

Sonntag, 27. Mai 2012

Die Hummel.

Auf meinem Bein sitzt eine Hummel.
Ob sie wohl weiß, wo sie ist? Ob sie wohl die Zusammenhänge verstehen kann? Oder ob sie einfach planlos durch's Leben geht? Einfach das tut, was am einfachsten ist. Leben.
Ohne Konsequenzen einschätzen zu können, ohne Konsequenzen einschätzen zu müssen. Ohne an morgen zu denken, weil sie gar nicht weiß, dass es so etwas wie morgen überhaupt gibt. Die Zeiteinteilung ist ihr fremd, es gibt nur dunkel und hell. Wenn es hell ist, lebt man, wenn es dunkel ist, schläft man. Es ist so einfach, weil das ganze Nachdenken wegfällt.
Auch für den Menschen wäre das Leben so einfach.
Und die Hummel kann fliegen. Sie kann frei sein, ohne zu wissen, was Freiheit eigentlich ist. Sie kann sich durch die Lüfte bewegen, ohne zu wissen, wie das physikalisch geht.
Man sagt, Hummeln sind zu dick. Aber sie selbst weiß davon nichts, weil sie den Idealzustand nicht kennt.

Der Idealzustand ist immer das, was gerade ist. 

Oh, wäre das schön, wenn auch ich so denken könnte. Alles akzeptieren, was ist, und das beste daraus machen.
Das wäre wahrhaftige Freiheit.

Freitag, 25. Mai 2012

Keine Depression.

Es ist keine Depression. Es hat nichts mit Depression zu tun.
Ich erlaube es mir. Ich mache mir mein Verhalten selbst legitim.

Dabei sollte ich nicht. Ich sollte, sollte, sollte nicht! Ich darf nicht!

"Ich hab's unter Kontrolle, ich kann jederzeit aufhören." Das ist, was die Süchtigen behaupten, sagen sie. Das bedeutet, die Wahrheit ist genau das Gegenteil. Du hast keine Kontrolle mehr. Du redest dir ein, du machst alles freiwillig, alles tust du aus eigenem Willen.
Aber das stimmt nicht. Die Sucht ist der Wille. Der Wille ist nur noch Sucht.

Ich weiß, ich werde süchtig.
Ich weiß, es ist ein Rückfall.
Ich weiß es. Aber ich glaube meine Lügen.



I want to walk in the snow
And not leave a footprint
I want to walk in the snow
And not soil its purity

[Manic Street Preachers]


Es liegt kein Schnee. Doch ich will trotzdem.

Abspringen.

Meistens geht es mir so, dass das Leben nur an mir vorbeirauscht. Wie während einer Bahn- oder Autofahrt. Ich sitze im geschlossenen Raum und blicke nach draußen. Ich sehe Bäume, Menschen, Fristen, Termine auf mich zukommen und dann, wie das alles wieder an mir vorbeirauscht. Ich weiß, ich müsste vielleicht dies oder ich müsste vielleicht das erledigen. Aber wie? Ich kann nicht abspringen und ich kann mich nirgendwo draußen festhalten, denn ich bin gefangen, die Türen sind geschlossen.
Ich rase weiter durch die Welt, durch mein Leben. Alles zieht an mir vorbei. Manchmal erblicke ich Menschen am Straßenrand, die nett aussehen, mit denen ich gerne sprechen würde, aber es geht nicht ... ein Wort, und ich bin schon weiter.
Doch ich bin nicht wütend deswegen. Alles was ich spüre, ist diese tiefe Melancholie. Die verschwommenen Landschaften sehen so traurig und so inspirierend aus, im Auto ist es sicher und warm. Ich weiß, ich müsste etwas tun, aber fühlen kann ich's nicht.
Es wundert mich, wie schnell Termine und Fristen verstreichen, wie schnell alle Dinge Vergangenheit werden. Doch die Tage an sich strecken sich über viel zu viele Stunden.

Jetzt habe ich es geschafft!
Ich bin abgesprungen aus dem rasanten Flug durch's Leben. Ich habe eine Zusage für das Schulpraktikum. Ich habe mich um etwas gekümmert, noch vor der allerletzten Abgabefrist. Einfach von mir aus.
Der nach hinten verdrängte Gedanke im letzten Winkel meines Hinterkopfes hat sich bemerkbar gemacht. Er hat gesagt, dass auch er wichtig ist. Und ich habe es geschafft, auf ihn zu hören.

Ich bin mir sicher, der Fluss des Lebens wird weiter an mir reißen. Aber jetzt weiß ich: Ich kann doch abspringen.