Sonntag, 30. Dezember 2012

Die Bahn kommt.

Ich stehe am Bahnhof und warte auf den Zug, in dem du sitzt. Noch liegt das Gleis verlassen vor mir, der Bahnsteig voll mit anderen Wartenden. Immer wieder die Blicke nach links, nach rechts. Das Lauschen nach dem Rauschen des Zuges, nach Ansagen der Einfahrt.
Viele tigern auf und ab. Vertreten sich die Beine, stehen nicht still. Es ist kalt an diesem Dezembertag, aber vielleicht ist auch die Aufregung, die freudige Erwartung Grund für die Bewegungen.
Plötzlich allgemeiner Stillstand. Ein Aufhorchen. Die Bahn wird angekündigt, vorsichtig solle man sein an der Bahnsteigkante. Zurücktreten solle man. Tut aber keiner. Alle beugen sich nach vorne, in der Hoffnung die Lichter des Zuges zu sehen, mit den Passagieren darin, die so sehnlich erwartet werden. Freunde, Partner, Eltern, wer auch immer. Wann auch immer sie das letzte Mal in die Arme geschlossen wurden.
Und dann fährt sie ein. Die Bahn, die Anreihung von Wagen. Mit Anreihungen von Menschen hinter den Fensterscheiben. Am Bahnsteig stehen sie nun still, blicken angestrengt auf die Scheiben. Versuchen, vertraute Gesichter zu erkennen, um ihnen entgegenzulaufen, sobald sie den Zug verlassen.
Die Türen öffnen sich; die Bewegung kehrt in all diejenigen zurück, die eben noch starr am Gleis standen. Ein Gewusel beginnt. Menschen strömen aus den Wagen, blicken sich orientierungslos um und suchen ihren Weg. Oder wählen sofort die richtige Richtung, als ihre Schuhsohlen den grauen Beton berühren. Sie laufen die Treppen hinauf, verlassen das Gleis, lassen die Bahn hinter sich. Verschwinden aus meinem Blickfeld.
Ich bin auf der Suche. So wie die anderen Wartenden. Die sich nun durch das Gedränge kämpfen, angestrengt in das Meer aus Koffern, Köpfen und Kinderwagen schauen, um ihre Boje, ihren Anker, ihr Schiff oder ihren Hafen zu erkennen.
Ich finde dich. Und plötzlich ist alles andere weg. Nur du und ich und wir gehen aufeinander zu. Beide mit einem Grinsen im Gesicht. Nichts mehr zwischen uns, nichts mehr neben uns, wir halten uns fest, versinken in unseren Armen. Und genießen unsere Ankunft.
Als wir wieder aufschauen, ist das Gleis fast leer. Der Zug abgefahren. Die Masse der Mitreisenden und Wartenden verschwunden. Nur vereinzelt stehen noch Pärchen, Grüppchen herum. Die sich in den Armen halten. Sich küssen. Kinder hochheben. Lachen. Miteinander reden.
Und wir fassen uns an den Händen, gehen gemeinsam die Treppe hinauf. Ein letzter Blick auf die letzten Ankunftszeremonien.

Bis ich hier wieder stehe. Menschen sich wieder in die Arme fallen. Menschen wieder warten.
Ich dich ein letztes Mal küsse und am Ende dem Zug nachblicke, als er den Bahnhof verlässt. Ich stecke meine Hände in die Jackentaschen und erklimme die Stufen alleine.

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